Reiseeindrücke von Frodo:
Die ersten Anzeichen, dass die Gefährten sich Moria
näherten, war eine niedrige Felswand, keine dreißig Fuß
hoch, an der Oberseite zackig und bröselig, vor der sie
plötzlich standen. Durch eine breite Spalte, die einst durch
einen stärkeren Wasserfall ausgewaschen zu sein schien,
tröpfelte ein Rinnsal. Gandalf, der einzige, der schon
einmal in Moria war, klärte sie auf: diese Stelle war der
Stufenfall, nebenan gab es eine in Fels gehauene Treppe. Die
Hauptstraße bog links ab und führte in mehreren Schleifen
durch ein flaches Tal, am Ufer des Sirannon entlang zu den
Mauern von Moria. Jedoch als die Gefährten dort waren,
erstreckte sich ein dunkler, stiller See in dem gesamten
Tal, der Torbach war gestaut worden.
Hinter dem unheimlichen Gewässer ragten gnadenlos glatte
und steile Felswände auf, die im Abendlicht fahl
schimmerten. Frodo konnte keine Spur eines Tores, Risses
oder irgendeinem andern Eingang erkennen. Dennoch führte sie
Gandalf dahin, auf einem schmalen, kaum zehn Schritt breiten
Streifen trockenen Bodens zwischen dem See und der Bergwand,
übersät mit herabgestürzten Steinen und Felsbrocken.

Gegenüber dem Wasserfall standen zwei hohe Hulstbäume,
noch immer stark und lebendig und größer als Frodo sich je
hätte vorstellen können. Sie waren am Westtor von Moria. Als
der Mond auf die glatte Fläche schien, sahen sie blasse
Linien wie dünne silberne Äderchen im Gestein. Nach und nach
wurden sie kräftiger und des Ithildin zeigte ihnen die Tür:
ein Bogen Elbenschrift, darunter Hammer und Amboss überdacht
mit einer Krone von sieben Sternen, zu beiden Seiten je ein
Baum mit Mondsicheln an den Zweigen und in der Mitte
leuchtete ein einzelner Stern mit vielen Strahlen.

Das waren Durins Wahrzeichen, der Hochelbenbaum und der
Stern des Hauses Feanor. „Die Tür Durins, des Herrn von
Moria. Sprich Freund und tritt ein. Ich Narvi baute sie.
Celebrimbor von Hulsten schreibe diese Zeichen.", stand auf
dem Felsen. Lange brauchte Gandalf um das Losungswort
„Mellon" herauszubekommen, doch dann schwangen die riesigen
Torflügel lautlos auf.
Drinnen war es stockdunkel und nur Gandalfs Zauberstab
verbreitete ein schwaches Licht. Die Luft wurde warm und
stickig, doch ohne üble Gerüche. Bisweilen spürten sie einen
kühleren Hauch auf ihren Gesichtern, der aus kaum
erkennbaren Öffnungen in den Wänden kam. Deren gab es
Unmengen. Frodo sah im Vorübergehen Treppenabsätze,
Torbögen, andere Gänge und Stollen, sachte auf oder steil
abwärts führend, oder einfach gähnend dunkle Öffnungen zu
beiden Seiten. Es war viel zu verwirrend, als dass der
Hobbit auch nur hätte versuchen wollen, sich den Weg zu
merken.

Die Minen von Moria waren größer und labyrinthischer als
selbst Gimli Glóinsohn geahnt hatte, der doch dem unter Tage
werkenden Zwergenvolk angehörte. Lange marschierten die
Gefährten ehe sie in die ehemals bewohnten Bezirke kamen,
die höher lagen als das Schattenbachtor. In einer großen
Halle riskierte Gandalf etwas mehr Licht. Da sahen sie ein
weit geschwungenes Deckengewölbe hoch oben, getragen von
vielen mächtigen aus Stein gehauenen Säulen. Schwarze Wände,
glatt wie geschliffenes Glas, blitzten und glitzerten.

Die Dunkelheit, die Einsamkeit und die unermessliche
Weite der unterirdischen hallen und ihrer sich endlos
verzweigenden Gänge und Treppen machten die Minen für die
Gefährten ziemlich gruselig.

Nur Gimli erinnerte sich an den
einstigen Glanz und die Pracht des großen Königreiches
Zwergenheim und seiner Hauptstadt, damals strahlte alles in
Lichter Herrlichkeit:
„Die Welt war jung, die Berge grün,
Als fleckenlos der Mond noch schien,
Nicht Berg noch Tal, nicht Strom noch Land
War da zu Durins Zeit benannt.
Er gab den Dingen Nam und Stand,
Trank ersten Trunk vom Quellenrand
Und sah im Spiegel Widerschein
Von Sternen, Gold und Edelstein,
Sah sich zu Häupten eine Kron
Aufblinken und verschatten schon.
Die Welt war jung, die Gipfel frei
Zu jener Zeit, die längst vorbei.
Die mächtigen Herrn von Nargothrond
Und Gondolin sind längst entthront
Und leben westlich, fern und weit
Die Welt war schön zu Durins Zeit.
Die Felsengründe waren sein,
Mit Gold verziert und Edelstein
Und silbern köstlich ausgelegt,
Das Tor von Runenkraft geprägt
Und tausend Lampen aus Kristall
Verströmten Licht allüberall
Ein helleres fließt nicht in die Welt
Von Sonne, Mond und Sternenzelt.
Der Hammer auf den Amboss hieb,
Der Sichel grub, der Meißel trieb,
Geschärfte Schwerterklinge sang,
Der Reichtum wuchs bei jedem Gang.
Von Amethyst, Beryll, Opal,
Metall, geschuppt war voll der Saal,
Von Panzerhemden, Schild und Speer
Die Borde in den Kammern schwer.
Tief unter Tage nimmermüd,
Sang Durins Volk so manches Lied
Zu harfen, Flöten ohne Zahl,
Am Tore grüßt Trompetenschall.
Die Welt ist grau , der Berg ist alt,
Die Essen leer, die Aschen kalt,
Kein Harfner singt, kein Hammer fällt;
Das Dunkel herrscht in Durins Welt,
Sein Grab liegt unter Schatten da
In Khazad-dûm, in Moria.
Die Strenenkrone glänzt vom Grund
Des Wassers noch zur Tagestund.
Tief ist der See, der sich begräbt,
Bis Durin sich vom Schlaf erhebt."

Gandalf erzählte ihnen, das Morias Reichtum nicht in dem
Gold und den Juwelen bestand und nicht im Eisen, sondern
dass nur hier, einzig in dieser Welt, das Moria-Silber
gefunden wurde. Wahrsilber oder Mithril genannt, hat den
zehnfachen Wert des Goldes und ist heute unbezahlbar, da es
nirgendwo mehr abgebaut wird. Das Moria-Silber war der Grund
ihres Reichtums aber auch ihres Verderbens: sie waren zu
gierig und schürften zu tief, dabei weckten sie Durins
Fluch, den Balrog, und mussten fliehen. Danach plünderten
Orks die Minen.

In Moria fanden die Gefährten auch Balins Grab in einem
Nebenraum: Tageslicht aus einem kleinen Schacht fiel in die
Mitte des Raumes auf einen rechteckigen, etwa zwei Fuß hohen
Block auf dem eine große weiße Steinplatte lag. In
Daeronsrunen geschrieben stand dort: „Balin Fundissohn, Herr
von Moria".

Doch lange konnten sie in der Mazarbulkammer nicht
bleiben, sie wurden von Orks angegriffen und flohen in die
einundzwanzigste Halle. Durch den östlichen Torbogen hinaus
nach Süden, abwärts von der siebenten Sohle zur Brücke von
Khazad-dûm. Vorbei an mächtigen Säulen in einer Doppelreihe,
die aussahen wie mächtige Bäume deren weit verzweigte Äste
die prächtigen Deckengewölbe trugen.

Plötzlich sah Frodo einen schwarzen Abgrund vor sich. Am
Ende der Halle verschwand der Boden und eine unabsehbare
Tiefe tat sich auf. Das Tor nach draußen war nur über eine
zierliche steinerne Brücke ohne Randsteine und Geländer zu
erreichen, die den Abgrund in einem einzigen Bogenschwung
von fünfzig Fuß überspannte. Hier konnte man nur einer
hinter dem anderen gehen.

Auf dieser Brücke stellte sich Gandalf dem Balrog. Dabei
wurde der Steg zerstört und der Zauberer und das Untier
stürzten in die Tiefe. Die anderen Gefährten flohen durch
eine Halle mit hohen Fenstern nach Osten, durch die helles
Tageslicht einfiel. Am anderen Ende war eine riesige
zerbrochene Tür, dahinter strahlte ihnen plötzlich das Große
Tor entgegen, ein Bogen blendenden Lichts. Mächtige
Torpfosten zu beiden Seiten, doch die Torflügel selbst waren
umgestürzt und zertrümmert. Breite, uralte, ausgetretene
Stufen hinab, über die Schwelle von Moria und die Gefährten
standen wieder unter freiem Himmel.